Der Ösi in Kawasaki

Kirschblüten-Fieber in Japan – Wie viel Sakura verträgt ein Ösi?

Dieses Jahr habe ich mir die volle Sakura-Dröhnung verpasst! In der heutigen Folge plaudere ich über meinen persönlichen Bezug zur Kirschblüte, versteckte Paradiese und sonderbare Süßigkeiten. Erfahrt außerdem, warum die Sakura eines der wichtigsten Symbole der japanischen Kultur ist.

Dies ist die 26. Folge meines Podcasts „Der Ösi in Kawasaki“ als Blogartikel zum Nachlesen. Anhören könnt ihr sie übrigens direkt hier, sowie auf Spotify und Apple.

Servus und konnichiwa zu einer neuen Folge. Schön, dass ihr wieder oder vielleicht sogar neu mit dabei seid. Ich bin Alex, euer Ösi in Kawasaki. Heute eher: der Ösi im Blütenmeer. Gleich die Schreckensnachricht vorweg: die Kirschblüte, die Sakura, so wunderbar wie sie wieder gewesen ist, ist jetzt tatsächlich schon wieder Geschichte! 

Ich habe mir dieses Jahr die volle Sakura-Dröhnung verabreicht und gefühlt eine Million Bäume fotografiert. In dieser Folge verrate ich euch deshalb meine diesjährigen Hotspots und ein paar Fun Facts rund um die Kirschblüte.

Ich stamme selbst aus einem kleinen Ort in Oberösterreich, der für seine Blütenpracht im Frühling bekannt ist. Da gibt es Wanderungen, Feste, Radrennen – alles im Zeichen der Kirschblüte. Vielleicht bin ich auch deshalb jetzt so leicht dafür zu begeistern. Mein erster Kontakt mit der japanischen Kirschblüte war dann in – nein, nicht in Japan – sondern während meines Praktikums in Washington. Im Jahr 1912 haben die USA von Japan nämlich Tausende Kirschbäume als Symbol der Freundschaft geschenkt bekommen. Gut, von dieser Freundschaft war dann kurze Zeit später nicht mehr allzu viel zu erkennen.

Aber naja – jedenfalls wird die Blütenpracht um die fast genauso prachtvollen Monumente in Washington groß zelebriert, und war für mich schon sehr eindrucksvoll. Vor vier Jahren waren mein Mann und ich dann erstmals auf Urlaub in Japan, ebenfalls genau zur Kirschblüte.

Nachdem die Sakura Saison letztes Jahr von Corona und dem nationalem Notstand überschattet war, und mein Mann und ich sie nur durch Zufall doch noch kurz erwischt hatten, war dieses Jahr alles anders. Also abgesehen von Corona. Abgesehen vom nationalen Notstand. 

Ich hab mir dieses Jahr schon vorab die Kirschblüten-Hotspots im Großraum Tokio herausgesucht und alles präzise geplant. Ja, ich gebe es offen zu: auch ich bin mit dem Sakura-Virus infiziert. Vermutlich aber nicht das Schlimmste, womit man sich dieser Tage anstecken kann.

 

Wann ist überhaupt die Kirschblütenzeit in Japan?

Viele Touristen wollen ja exakt zur Kirschblüte nach Japan reisen. Das macht die Saison auch so verdammt teuer und überlaufen. Und dann ist das Ganze obendrein noch ein bisschen ein Glücksspiel!

Auf den südlichen Tropeninseln von Okinawa blüht die Kirsche schon zu Jahresbeginn. Im Großraum Tokio zwischen Ende März und Anfang April. Ganz im Norden, auf Hokkaido, blüht sie sogar erst Anfang Mai. Ein Glücksspiel ist es deshalb, weil es jedes Jahr natürlich auch Abweichungen gibt. Laut ORF war die Blüte dieses Jahr so früh wie in 1.200 Jahren nicht.

Es gibt online eigene Sakura-Kalender, die den Höhepunkt der Blüte in den einzelnen Regionen und Parks vorhersagen. Dieser dauert dann ungefähr eine Woche. Es ist also ein extrem kleines Zeitfenster – vor allem, falls man arbeitsbedingt nur an den Wochenenden Zeit dafür hat, und dann vielleicht das Wetter nicht mitspielt. Letztes Jahr hat es während der Kirschblüte sogar geschneit – und das, obwohl in Tokio so gut wie nie Schnee fällt. Ein starker Windstoß oder Regenschauer – und das war’s mit der Blütenpracht.

Ihr hört schon, die Kirschblüte ist nicht oder nicht nur ein Werbeaushang für Japan. Die Menschen hier sind tatsächlich so verrückt nach ihr. Schon Wochen vorher sieht man überall rosarote Deko. Es gibt Eis, Desserts, Kaffees und Chips – eigentlich gibt es nichts, was es nicht mit Kirschblüten-Geschmack gibt. In gängigen Coffeeshops gibt es ganze Regale voll rosaroter Tassen und anderer Fan-Artikel. 

 

Sakura Mochi – eigenwillige Süßigkeit mit Kirschbaumblättern

Ein besonderes Erlebnis hatte ich mit Sakura Mochi. Das ist eine traditionelle, rosa gefärbte Süßigkeit, bestehend aus Reismehl und gefüllt mit gezuckerter, roter Bohnenpaste. So weit, so gut. Das Ungewöhnliche an Sakura Mochi ist, dass sie in Kirschblätter eingewickelt sind. Also nicht in die weißen Blütenblätter, sondern in die grünen Baumblätter. Diese werden davor in Salzlake eingelegt, und geben dann einen wirklich eigenwilligen – ich nenn’s jetzt einmal “Naturgeschmack” – an das Mochi ab. Ich habe mir einmal in der Mittagspause einen Viererpack davon gekauft, weil sie einfach hübsch ausgesehen haben. Dass eine rosa Süßspeise nach salzigem Waldboden oder abgestandenem See-Uferwasser schmeckt, habe ich nicht erwartet. Und weil ich alle Mochi mit meinen Stäbchen berührt hatte, wollte ich sie auch nicht meinen Kollegen anbieten. Sie haben dann ein tragisches Ende im Mülleimer gefunden.

In Japan verbindet man diesen ungewöhnlichen Geschmack jedenfalls mit dem Frühling. Auch einige nicht-japanische Freunde von uns mögen ihn. Ich werde zukünftig aber dankend verzichten. 

Falls ihr euch an dieser Stelle fragt, welche Rolle denn die eigentlichen Kirschen, also die Früchte des Baumes: keine. Anders als in meinem Heimatort trägt die in Japan beliebteste Kirschbaumart, Somei Yoshino, nur ganz kleine Kirschen. Sie haben kaum Fruchtfleisch und sind für den Menschen viel zu bitter. An ihnen erfreuen sich nur die Vögel.

Das gemeinsame Kirschblüten-Anschauen und Picknicken, das Hanami, ist die Freizeitaktivität der Saison. Unter jedem Bäumchen tummeln sich Scharen an Menschen. Corona-bedingt wurden dieses Jahr nicht nur die Festivals abgesagt, sondern auch Picknicks unter den Kirschblüten verboten.

 

Nakameguro – Kirschblüte bei Volksfeststimmung

Wie gesagt, habe ich mich dieses Jahr vollkommen dem Kirschblüten-Wahnsinn hingegeben. Ich hatte Ende März an einem Wochentag frei und einen Termin in Shibuya. Danach habe ich mir einen Burger gegönnt und bin noch zu Starbucks an der berühmten Shibuya Kreuzung. Von dort aus hat man einen Blick auf den gigantischen Menschenauflauf. Bei Grün kann man die Straße nämlich in sämtliche Richtungen kreuzen. Sogar diagonal! Für Touristen ist die Shibuya-Kreuzung sowieso ein Muss. Auch ich freue mich jedes Mal, wenn ich’s in die Gegend schaffe. Hier hat das alles angefangen. Die Shibuya-Kreuzung war unsere allererste Station, wie mein Mann und ich vor vier Jahren zum ersten Mal in Japan waren. Das bunte Treiben dort ist das, was man so oft mit dem typischen Japan verbindet. Aus heutiger Sicht weiß ich zwar, dass Shibuya alles andere als stellvertretend ist für Japan. Nichtsdestotrotz bin ich jedes Mal aufs neue fasziniert und auch ein bisschen melancholisch.

Auf dem Rückweg von Shibuya bin ich jedenfalls an der Station Nakameguro vorbeigekommen. Die Gegend ist ja generell sehr bezaubernd und hip. Entlang des schmalen Meguro Flusses finden sich viele Boutiquen und Bistros. Die Kirschbäume zieren beide Seiten des Ufers und wachsen oben zu einem Tunnel zusammen. Ich bin also an besagtem Tag dort ausgestiegen, um einfach einmal nachzuschauen, wie es denn um die Blüte steht. Es war ein Wochentag und ich habe naiverweise erwartet, die Gegend ganz für mich alleine zu haben. Weit gefehlt! Die Kirschblüte, die Sakura, war schon fast an ihrem Höhepunkt. Alles war kitschig weiß und blassrosa – einfach atemberaubend schön. Ich war echt sprachlos.

Rundherum herrschte Volksfeststimmung – beziehungsweise Volksfeststimmung zu Pandemiezeiten. Es war ein regelrechter Andrang in den engen Gassen und auf den kleinen Brücken. Natürlich alle Menschen mit Masken. Viele Ordnungshüter im Rentenalter waren non-stop am brüllen: „Bitte nichts essen, bitte nichts trinken. Nach dem Fotografieren bitte zügig weitergehen. Bitte umstehen, es kommt ein Auto! Bitte nichts essen…“ 

Wie ein aufgescheuchter Ameisenhaufen sind wir herumgeschwirrt. Kein Baum, der nicht abgelichtet wurde. Trotz Corona-bedingtem Snack-Verbot gab es an den Seiten schon immer wieder Bars, wo rosa Sekt mit Erdbeeren ausgeschenkt wurde. 

Vielleicht war es auch gerade das Gebrülle und Getümmel, das sich so verdammt gut angefühlt hat. Nach so langer Zeit ohne jegliche Feste war das schon echt erfrischend. Und dann auch noch all die glücklichen Gesichtshälften zu sehen, die sich aufrichtig an der Blütenpracht erfreuen. Das Flussufer in Naka-Meguro ist, wie ihr euch denken könnt, ein extrem beliebter Sakura-Hotspot. Ich will mir nicht vorstellen, wie das Gedränge erst am Wochenende sein muss. Ob Kirschblüte oder nicht, schaut unbedingt in dieser bezaubernden Gegend vorbei.

 

Mein Sakura-Geheimtipp in Kawasaki

Im Blütenrausch habe ich mir zu Hause gleich ein Fahrrad geschnappt, um noch ein bisschen das schöne Frühlingswetter auszunutzen. Nahe unserer Wohnung gibt’s einen kleinen Bach, und ich hatte gehofft, auch auf den ein oder anderen Kirschbaum zu treffen. Das Radeln durch die ruhigen Nachbarschaften war an sich schon unglaublich schön. Absolut unaufgeregt und gemütlich (vielleicht auch dem E-Bike geschuldet). Da lassen sich sämtliche Sorgen vergessen.

Nach knapp 6 Kilometern bin ich dann jedenfalls aus dem Staunen und Fotografieren gar nicht mehr herausgekommen. Etwas südlich der Stationen Kuji und Shukugawara, eben entlang dieses kleinen Bachs, habe ich mein persönliches Kirschblüten-Paradies entdeckt.

Über mehrere Kilometer hinweg haben hier die blühenden Bäume meinen Weg geziert. Es waren nur ganz wenige Leute unterwegs. Jung und alt, ausgestattet mit Riesenkamera oder Weinflasche am Ufer. Ein wirklich friedliches Treiben. Eine Freude über das Blütenmeer, die nicht nur ansteckt sondern auch verbindet. Und das alles in einer Gegend, die auf den ersten Blick so völlig unscheinbar wirkt.

 

Blütenpracht im Zentrum von Tokio

Zwei Tage später hatte ich wieder frei und mein Kirschblüten-Plan war straff. Es galt keine Zeit zu verlieren! Ich bin mit dem Zug in die Nähe des Kaiserpalastes gefahren. Dort findet man eine der berühmtesten Sakura-Foto-Locations überhaupt. Der ganze Bezirk Chiyoda ist umrandet von Wassergräben. Die Ufer zieren – natürlich – Kirschbäume. Bei Schönwetter kann man sich ein Boot ausleihen oder einfach von der Brücke aus ein Foto der grandiosen Kulisse schießen. 

Wassergraben, Boote, Kirschblüten – und am Horizont sogar der Tokyo Tower. Ich war bei weitem nicht der einzige mit dieser Idee – an der Brücke herrschte ein wildes Getümmel. Ich musste mich sogar anstellen, um überhaupt aus der ersten Reihe ein Foto machen zu können. Blöderweise bin ich dann auch durch einen Park, in dem sich eine riesige Veranstaltungshalle befindet, wo genau an diesem Tag eine Uni-Abschlussfeier abgehalten wurde. Auf den Straßen sind hunderte, wenn nicht tausende, Menschen herumgestanden. Es war wie bei einem Konzert oder so. Alle in Feierlaune und sehr viele davon ohne Maske. Ich habe sicher seit 1,5 Jahren keine solche Menschenansammlung mehr gesehen. Ich habe mich dann recht zügig vom Gelände entfernt.

 

Mediterranes Sakura-Flair auf der Izu Halbinsel

Zusammen mit Freunden ging es dann noch für ein Wochenende in eine meiner Lieblingsregionen: auf die Halbinsel Izu. In knapp drei Zugstunden erreichen wir von Zuhause die unfassbar schöne Jogasaki-Küste mit einem angenehmen Wanderpfad. Im Frühling gibt es in den gepflegten Villenvierteln auch kilometerlange Alleen voll Sakura. Mein Mann und ich waren letztes Jahr auch schon dort und hatten zufällig den Höhepunkt der Blüte erwischt. Dieses Jahr waren wir geschätzt eine Woche zu früh dran. Viele Knospen waren noch geschlossen, die Stimmung war aber trotzdem ungetrübt. Falls ihr die Blüte in Tokio also knapp verpasst haben solltet, habt ihr um Izukogen vielleicht noch eine Chance!

Der Sonntag dieses Wochenendtrips war dann auch noch verregnet. Wir sind deshalb in den Kurort Atami gefahren, wo es ein topmodernes Spa mit Blick auf das Meer gibt. Das Spa ist aber ungefähr das einzig moderne an diesem Küstenort. 

Atami hat in den 80ern einen Boom erlebt, wo unfassbar hässliche, riesige Bunkerhotels aus dem Boden gestampft wurden. Seit die Wirtschaftsblase in den 90ern geplatzt ist, ist auch Atami ein bisschen zu einer Geisterstadt verkommen. Also sie ist keineswegs verlassen, und ganz offensichtlich gibt es auch jetzt einige moderne Hotels und Spas dort. Aber den Blick über die Bucht, in der ein verwahrloster Betonklotz an den nächsten grenzt, fand ich doch eher trist. Generell finden sich Japan leider tatsächlich so einige Küstenörtchen, die alles andere als malerisch sind. Für den Ausblick allein würde ich also nicht nach Atami kommen.

 

Kurzlebigkeit als Faszination

Meine Sakura-Saison war dieses Jahr kurz aber intensiv. Ich habe hunderte Fotos geknipst und das schöne Frühlingswetter genossen. Besonders gefreut habe ich mich über die versteckten und ruhigen Hotspots gleich in meiner Nachbarschaft. Und jetzt? Jetzt ist alles schon wieder vorbei.

Es ist wohl gerade diese Kurzlebigkeit, die die Faszination der Kirschblüte ausmacht. Es gibt da Gemälde, Romane und Filme, die sich der Sakura widmen. Aber auch unzählige Pop-Balladen. Das sind meist wahnsinnig kitschige und bedeutungsschwangere Nummern, die zum Beispiel Neuanfänge thematisieren, oder gar die Vergänglichkeit des Lebens. Tatsächlich fällt die Kirschblütenzeit mit dem Beginn des Geschäfts- und Schuljahres zusammen. Traditionell ist es üblich in Japan Anfang April ins Berufsleben einzusteigen oder mit Anfang April den Job zu wechseln. Nicht davor und nicht danach. Das ändert sich zwar allmählich, aber auch in meiner doch modernen Firma haben am 1. April zehn neue Kolleginnen und Kollegen begonnen. Der Frühling ist eine Saison ganz im Zeichen von Neuanfängen.

Andererseits sind die Kirschblüten ja auch extrem zerbrechlich. Standen sie im einen Moment noch in voller Pracht … kommt vielleicht starker Regen oder Wind, und alles ist vorbei. Das kann man natürlich auch auf die Vergänglichkeit des Lebens an sich übertragen. In manchen Geschichten symbolisieren die gefallenen Blütenblätter daher auch die in Kämpfen gefallenen Samurai.

Wie ihr hört, hat die Sakura unfassbar viele Bedeutungen und einen sehr wichtigen Stellenwert in der japanischen Kultur. Da ist Schönheit, Stärke, Hoffnung und Freude, aber auch Trauer, Abschied und Melancholie. Bei soviel Pathos – was bleibt mir da noch zu sagen? Nichts.

Bis zum nächsten Mal, mata ne,
euer Ösi in Kawasaki.

 

Dies war die 26. Folge meines Podcasts „Der Ösi in Kawasaki“ als Blogartikel zum Nachlesen. Anhören könnt ihr sie übrigens direkt hier, sowie auf Spotify und Apple.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Required fields are marked *.

You may use these HTML tags and attributes: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>