Kulturschock in Japan – Der Österreicher unter vielen, vielen, vielen Japanern
Ob Sprachbarriere, Menschenmassen und gesellschaftliche Gepflogenheiten – kulturelle Unterschiede lauern in Japan an jeder Ecke. Der Umgang damit ist sicher nicht immer einfach. Erfährt, was uns als Neuankömmlinge am meisten irritiert hat.
Dies ist die vierte Folge meines Podcasts „Der Ösi in Kawasaki“ als Blogartikel zum Nachlesen. Anhören könnt ihr sie übrigens direkt hier, sowie auf Spotify und Apple.
Mein Mann und ich sind mittlerweile seit über zwei Monaten in Japan. Wahnsinn, wie die Zeit vergeht. Falls ihr euch gefragt habt: ja, den mysteriösen Mann in meinem Leben, dem ich dieses Abenteuer zu verdanken hab, den gibt es wirklich. Bis auf weiteres möchte er sich aber in Anonymität suhlen. Ihr müsst euch also mit mir, Alex, begnügen.
Ich bin am Land in Oberösterreich aufgewachsen und dann fürs Publizistikstudium nach Wien gezogen, wo ich für zehn Jahre sehr gern gelebt hab. Meine Jobs waren immer irgendwo im Bereich Marketing und Kommunikation angesiedelt, ich bin außerdem auch Sänger und immer wieder als Sprecher tätig. Meine Freunde würden mich wohl als einen recht kommunikativen Menschen beschreiben… 😉 Und damit ich auch aus meiner neuen, vorübergehenden Heimat Japan die Menschen beschallen kann, habe ich mich dazu entschlossen einen Podcast zu starten.
Warum erzähle ich euch das überhaupt? In dieser Folge geht‘s um Kulturschock in Japan. Mit Verallgemeinerungen muss man ja bekanntlich vorsichtig sein. Bei allem, was ich euch daher hier erzähle, handelt es sich nur um meine sehr subjektive Wahrnehmung von Dingen, denen ich hier im täglichen Leben begegne. Jemand anderes, mit einem anderen Hintergrund, hätte wahrscheinlich komplett andere Geschichten für euch parat.
Was meine ich eigentlich mit Kulturschock?
Meine bisherige Auslandserfahrung beschränkt sich auf Urlaube und ein mehrmonatiges Praktikum in Washington, DC. Ich habe also noch nie für einen wirklich längeren Zeitraum im Ausland gelebt. Mein Mann hat Anfang des Jahres ein Jobangebot für Japan bekommen – ein Land, das uns seit langem fasziniert. Der Mix aus modernster Technik und Tradition, aus wahnsinnig gutem Essen, der vielseitigen Natur und auch der Ordentlichkeit … das alles hat uns schon während eines mehrwöchigen Urlaubs beeindruckt.
Der Umzug hierher war also eine bewusste Entscheidung. Wir haben uns extrem über diese Chance gefreut und tun es immer noch. Aber Abenteuerlust hin oder her, eine berufliche Entsendung für mehrere Jahre ist ja nun einmal kein Urlaub. Wir waren deshalb gespannt, wie schnell wir uns im Alltag zurechtfinden und einleben würden.
Der Begriff „Kulturschock“ ist ja sehr negativ behaftet. Laut Wikipedia beschreibt er einen „schockartigen Gefühlszustand, in den Menschen verfallen können, wenn sie mit einer fremden Kultur zusammentreffen.“ Damit verbunden sei ein „Sturz aus der Euphorie in das Gefühl, fehl am Platze zu sein.“ Man fühlt sich also selbst fremd, die Umgebung ist einem fremd und das Verhalten der Menschen ist auch anders, als man es erwartet. Das macht die oft einfachste Alltagsroutine zu einer kleinen Herausforderung.
Irgendwo fällt da natürlich auch das Thema Heimweh hinein. Heimweh hat sich bei uns zum Glück noch nicht eingestellt. Ich kann nicht ausschließen, dass es sich vielleicht doch noch irgendwann anschleicht. Natürlich vermisse ich hier meine Familie und Freunde – auch meine ehemaligen Arbeitskollegen und tägliches Umfeld. Ich vermisse leistbaren, stinkenden Käse.
Aber derzeit überwiegt einfach die Freude an der Möglichkeit in Japan zu sein. Und um ehrlich zu sein, hatte ich zum Schluss hin auch schon ein bisschen genug von Wien. Womöglich sind wir auch noch in dieser anfänglichen Euphorie, der – zumindest laut Wissenschaftlern – für gewöhnlich ein Realitätsschock folgt.
Wir finden uns jedenfalls schon recht gut zurecht, das Leben hier fühlt sich eigentlich nicht mehr ganz so fremd an. Wir haben auch schon die ein oder andere Alltagsroutine entwickelt. Und auf jeden Fall genießen wir es, jederzeit entweder was Neues entdecken und erleben zu können, oder einfach einmal faul zuhause fernsehen zu können. Oder am Podcast zu arbeiten. Da mein Mann und ich ja immerhin im selben Boot sitzen und auch schon die ein oder andere Bekanntschaft geschlossen haben, bin ich jedenfalls guter Dinge.
Aber klar – ob ich nun will oder nicht, vergleiche ich wohl alle neuen Eindrücke mit dem, was ich eben kenne. Also hauptsächlich mit Österreich. Und über 9000 km von Zuhause entfernt gibt es schon ständig irgendwas Ungewohntes, das uns auffällt.
Manches davon irritiert uns. Und zugegeben – in einem ungeduldigen Moment kann man sich darüber auch ärgern oder zumindest die Stirn runzeln. Ich möchte allerdings nicht dem Österreichischen Klischee verfallen, und jetzt zu jammern beginnen. Zumindest nicht öffentlich… 😉
Ich habe mir jedenfalls angewöhnt, alle möglichen Auffälligkeiten, die mich irgendwie überraschen oder irritieren, sofort zu hinterfragen. Ich will den Grund verstehen, um dann hoffentlich besser damit umgehen zu können. Da hilft es oft einfach zu googeln, in Expat-Foren zu stöbern oder nach Möglichkeit Bekannte zu fragen.
Die Sprachbarriere
Beispielsweise war es für uns sehr überraschend, wie schlecht man hier mit Englisch weiterkommt. Selbst in Touristen-Hotspots wie Shibuya – wo man glauben könnte, dass Verkäufer oder Kellner ein bisschen Englisch sprechen – stößt man oft auf ratlose Gesichter.
Mir wurde erklärt, dass die meisten Japaner zwar Englisch in der Schule lernen, sich dabei aber hauptsächlich auf das Schreiben und Lesen konzentrieren. Am Postamt hat der Angestellte zum Beispiel mit mir über Notizzettel kommuniziert.
Meine Japanisch-Kenntnisse wachsen langsam, aber doch. Dank ihnen kann ich dann zumindest mit ein paar Phrasen um mich werfen. Sehr häufig kommt von den Japanern dann auch sofort Lob, dass ich sehr gut Japanisch sprechen würde. Sie sind also durchaus höflich und bemüht einem weiterzuhelfen. Erst letztens habe ich ganz selbstbewusst jemanden im Fitnessraum gefragt, ob ich denn die Klimaanlage öffnen dürfe … Na ja. 😉
Es gibt allerdings schon auch Japanerinnen und Japaner, die vielleicht schon im Ausland gelebt haben, ausländische PartnerInnen haben oder erst seit kurzem Englisch lernen – und die sich eben gerade deshalb gerne auch mit englischsprachigen Ausländern umgegeben und sich austauschen. Das ist dann für uns auch ein ganz netter Zugang zu den Einheimischen. Soviel zum Thema Sprache.
Die Menschenmassen
Dann ist da natürlich die Sache mit den Menschenmassen. Während die berühmte, riesige Kreuzung in Shibuya vor allem für Touristen ein beeindruckendes Schauspiel ist, sind die vielen Menschen im Alltag oft weniger lustig.
Im gesamten Großraum Tokio, zu dem auch Kawasaki und Yokohama gehören, leben rund 38 Millionen Menschen – das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Wie man sich vorstellen kann, ist das Gebiet ist daher extrem dicht bebaut.
Viele, die an Tokio denken, haben bunte Leuchtreklamen, verrückt gekleidete Menschen und vielleicht auch Wolkenkratzer im Kopf. Statt vielen Hochhäusern sind die meisten Häuser relativ niedrig und das Stadtbild leider überraschend grau. Es gibt einfach wenig Platz für Grünflächen.
Das ist etwas, was ich hier schon vermisse. Zum Glück gibt’s aber ein sehr vorbildliches, enges Zugnetz. Das erleichtert nicht nur das Pendeln im Alltag, sondern ist auch perfekt für Ausflüge in die Natur. Vor allem in der Rush Hour muss man aufgrund der vielen Menschen schon genau drauf achten, wo man hingeht. In der Früh, stadteinwärts Richtung Tokio, sollte man vor Körperkontakt jedenfalls keine Angst haben. Das Gute an den vollen Zügen ist immerhin, dass man nicht umfallen kann.
In Wien begegnet man in den U-Bahnen ja dann doch oft den ein oder anderen, sagen wir mal, sonderbaren Gestalten. Hier wiederum hat man zwar weniger Platz – aber die Leute sind dafür auch um Welten rücksichtsvoller und bemüht, niemandem zu viel Platz wegzunehmen. Statt Chaos bewegt sich die Menschenmasse langsam und sehr homogen durch die Stationen.
Was einem sofort auffällt ist, dass es in den Zügen ungewohnt ruhig ist. Niemand redet laut. Es gibt keine nervigen Handytöne und schon gar niemand telefoniert. Da ich ein großer Verfechter des Rundumdieuhr-Vibrationsalarms bin, habe ich in Japan also mein ideales Land gefunden.
Auffallend sind – je nach Jahreszeit – auch die vielen „kranken Menschen“, die Gesichtsmasken tragen. Nein, also natürlich sind die wenigsten davon tatsächlich krank. Die Gesichtsmasken sind aber auf den ersten Blick bizarr, aber typisch japanisch. Und auch diese sind wieder ein Zeichen für Selbstschutz und Rücksicht. Denn wo viele Menschen sind, sind auch viele Keime.
Also tragen in den Erkältungs- oder Allergie-Monaten viele Menschen eine Gesichtsmaske, die sich entweder nicht selbst anstecken oder eben ihre Mitmenschen nicht anstecken möchten.
Das Ganze hat dann aber leider doch auch einen negativen Beigeschmack. In Japan gibt es nämlich leider kaum bezahlten Krankenstand. Das heißt, man geht entweder krank in die Arbeit oder muss einen seiner wenigen Urlaubstage opfern. Oder: man wird eben gar nicht erst krank. All der Arbeitseifer der Menschen zeigt sich auch abends in den genauso vollen Zügen – man sieht hier sehr viele schlafende, vermutlich überarbeitete Geschäftsleute.
Die emotionale Distanziertheit
Der nächste Punkt ist vor allem für Menschen aus dem Westen vermutlich am schwierigsten zu verstehen. Auch für mich, als kreativen und oft Bauchgefühls-getriebenen Menschen. Und zwar, zeigen die Japaner im Alltag sehr wenige Emotionen – und wenn, dann eigentlich nur, wenn die Situation sie eben verlangt und sie sozusagen eine Gepflogenheit sind. Aber impulsives oder ausgelassenes Verhalten hätte ich jetzt – außer bei Kindern – noch keines wahrgenommen.
Man sagt ja, in Wien „regiere der Schmäh“ – eine schöne Umschreibung dafür, dass man ständig grantig ist und das auch zeigen darf. Aber dort ist durchaus auch Platz für spontanen Charme und Humor. Inwieweit das hier der Fall ist, kann ich aufgrund meiner begrenzten Japanisch-Kenntnisse momentan nur begrenzt beurteilen. Aber man sieht doch deutlich, dass die Japaner recht zurückhaltend sind. Auch im Restaurant kann das Essen vermutlich noch so ausgezeichnet schmecken und sie zeigen vielleicht trotzdem nur eine minimale Regung. Das wirkt auf Europäer mitunter schon ein bisschen distanziert oder sogar kühl.
Als Kontrast empfehle ich einen Besuch von Izakayas, also typisch japanischen Wirtshäusern. Da sieht’s dann doch ganz anders aus: abends gehen viele Abteilungen von Firmen regelmäßig dorthin essen. Es wird geraucht, ausgiebig getrunken – und dann werden auch die Japaner deutlich ausgelassener und lauter.
Als „Gaijin“ plötzlich in der Minderheit
In Japan ist die Ordnungsliebe allgegenwärtig. Die vielen Umfangsformen und Regeln tragen sicher auch dazu bei, dass man sich als Ausländer aus dem Westen noch eine Spur fremder fühlt oder es ein bisschen schwieriger hat Anschluss zu finden. Wenn ich aber ehrlich bin, weiß ich gar nicht: ist das überhaupt ein japanisches Merkmal? Oder ist es nur ungewohnt, als weißer Europäer plötzlich die Minderheit zu sein?
Wie dem auch sei, ist es jedenfalls eine sehr interessante Erfahrung. In den Touristen-Hotspots und Botschaftsgegenden trifft man natürlich regelmäßig Ausländer aus dem Westen. In der Gegend, wo wir wohnen, sieht man eigentlich so gut wie keine. Städte wie New York fühlen sich da jedenfalls schon deutlich internationaler an.
Mir fällt das draußen oft gar nicht mehr so auf. Aber hin und wieder treffe ich auf der Straße auf den ein oder anderen erstaunten Blick und dann erinnere ich mich natürlich doch wieder, eben „anders“ zu sein. Und zugegeben: wenn ich selbst einmal einen westlich aussehenden Menschen auf unserer Straße sehe, bin ich insgeheim auch neugierig, was ihn denn hierherführt.
Die japanischen Gepflogenheiten
Allein schon, weil man als Ausländer unmöglich alle japanischen Gepflogenheiten kennen kann, wird man auf jeden Fall anders behandelt. Das schildern leider oft auch Menschen, die schon viele, viele Jahre hier leben und trotzdem nie so ganz in der Gesellschaft ankommen. Andererseits gelten diese strengen gesellschaftlichen Regeln für uns Ausländer nur begrenzt, was manchmal auch sein Gutes hat – wenn man z. B. die sogenannte „gaijin card“, also den Ausländerbonus, zu seinem Vorteil ausspielt…
Kulturelle Unterschiede – davon gibt es in Japan natürlich noch unendlich viele mehr. Diesmal habe ich versucht, mich einmal jenen zu widmen, die uns als Neuankömmlinge und auch andere Japan-Besucher direkt beeinflussen. Wie gesagt, war das alles meine subjektive Wahrnehmung und ich bin wirklich interessiert daran, ob ihr vielleicht ganz andere Eindrücke von Japan gewonnen habt oder ihr manche meiner Schilderungen auch aus anderen Ländern kennt.
Ich bin selbst sehr gespannt, wie sich meine Sicht auf die Dinge hier weiterentwickelt. An was werde ich mich gewöhnen? An was werde ich mich vielleicht nie gewöhnen? Ich lasse euch jedenfalls an dieser Reise teilhaben.
Euer Ösi in Kawasaki
Dies war die vierte Folge meines Podcasts „Der Ösi in Kawasaki“ als Blogartikel zum Nachlesen. Anhören könnt ihr sie übrigens direkt hier, sowie auf Spotify und Apple.